Benolpe im Krieg: Briefe in die Heimat (IV) – Greasque 1948

Wer kennt sie nicht, die „guten Wünsche“, die sicher in keiner Zeit des Jahres öfter ausgesprochen werden als an Weihnachten oder um Weihnachten herum? Ein Kernsatz der Weihnachtsgeschichte des Lukasevangeliums lautet: „Friede auf Erden den Menschen guten Willens“ und in diesem Jahr 2023 wirkt er zeitgemäßer denn je!

Es wäre naheliegend, in diesem Zusammenhang auf aktuelle Kriegsereignisse einzugehen, doch an dieser Stelle möchte ich Texte betrachten, deren letzter vor 75 Jahren verfasst wurde. Geschrieben hat sie der Benolper Erwin Löcker, der 1943 als 18-jähriger in den Kriegsdienst einberufen wurde. Er diente zunächst in Dänemark, wurde später nach Frankreich verlegt und geriet dort im August 1944 in Gefangenschaft, die bis unmittelbar vor Weihnachten 1948 andauern sollte.

In losen Abständen publizieren wir hier Abschriften seiner Briefe, die er zur Weihnachtszeit an seine Mutter Franziska Löcker, sein Vater Franz starb am 02.07.1941, aus dem südfranzösischen Gefangenenlager Aubagne (Bouches du Rhone) bzw. einer Zeche im nahe gelegenen Greasque, wo er im Bergbau arbeitete, bzw. arbeiten musste, schrieb:

Greasque, den 29. November 1948

Meine liebe Mutter!
Ja, nun ist es endlich doch so weit. 5 Jahre lang habe ich Dir nun Briefe geschrieben, aber so einen freudigen wie diesen hast Du bestimmt noch nicht von mir erhalten, denn ich komme nämlich noch vor Weihnachten nach Hause. Ich kann es selbst noch nicht fassen, dass ich wirklich wieder nach Hause kommen soll, aber es ist wirklich wahr und zwar 100%ig. Im letzten Brief habe ich Dir glaube noch geschrieben, dass es unmöglich ist, vor Weihnachten nach Hause zu kommen und das stimmte auch. Diesen Bescheid hatte uns nämlich das Arbeitsamt gegeben. Man hatte uns aber auch gleich auf dem Arbeitsamt gesagt, wenn wir eine Bescheinigung von unserem Arbeitgeber bringen würden, dass dieser einverstanden wär, könnten wir natürlich fahren. Nun haben wir aber gedacht, dass wir die niemals bekommen würden und hatten uns auch schon damit abgefunden. Ruhe gelassen hat es aber einigen doch nicht und die haben sich dann zusammen gerafft und
haben unseren Arbeitgeber gefragt und die Antwort war ein voller Erfolg. Ohne zu zögern hat er Ja gesagt und damit war unsere Lage gerettet, das war heute morgen. Am Samstag den 04. Dezember, hier wird ja sowieso nicht gearbeitet, weil am 04. Dezember Barbaratag ist, also das Schutzfest der Bergleute, fahren wir nach Marseille und reichen unsere Ausreisepapiere ein und am 19. Dezember geht’s dann von hier fort. Wir können nicht früher fahren, da die Mine den Tag festgelegt hat. Ich schaffe es auch sowieso vor hl. Abend noch, denn ungefähr am 23. Dezember bin ich zu Hause, aber da schreibe ich beim nächsten mal noch genauer drüber. Was am 23. Dezember 1943 los war, wirst Du ja sicher auch noch wissen, ich muss schon sagen, das habe ich gut hingekriegt, aber das hätte ich mir damals auch nicht träumen lassen. 5 Jahre ist doch eine ganz schön lange Zeit.
(Anmerkung: Erwin hatte gemäß Soldbuch, das am 26.05.1943 ausgestellt wurde, vom 07.12. – 22.12.1943 Heimaturlaub, von da an war er wieder im Einsatz und geriet am 25.08.1944 in Gefangenschaft, was ebenfalls im Soldbuch vermerkt ist).
Ich werde Dir noch 2mal schreiben und zwar am 05. und 12. Dezember und dann ist Schluss, dann hat das Briefeschreiben auch endlich aufgehört. An Dich habe ich noch eine Bitte und zwar schreibe mir nicht mehr nach dem 10. Dezember, denn ich möchte nicht, dass hier noch Briefe von Dir ankommen, wenn ich nicht mehr hier bin, denn andere Leute geht das nichts an, was Du mir schreibst. Sage auch bitte allen anderen Bescheid, dass sie nicht mehr schreiben sollen. Bruno, Herbert und allen anderen, die mir vielleicht zu Weihnachten geschrieben hätten. Adolf und Fritz schreibe ich selber. Hoffentlich hast Du noch kein Weihnachtspaket abgeschickt, das wäre nämlich schade um den Inhalt. Ich arbeite bis zum 15. Dezember, es ist gerade noch eine volle Dekade, mit morgen eingerechnet nur noch 13 Arbeitstage.
So gut wie die Stimmung hier jetzt ist, war sie schon lange nicht mehr und das kannst Du Dir ja sicher auch selbst vorstellen. Waschen tue ich hier gar nichts mehr. Für mich zwar angenehm, für Dich dagegen wohl nicht, aber ich habe wirklich keine Lust mehr dazu. Nun habe ich Dir von meiner Heimkehr geschrieben, aber im Moment ist das auch das Wichtigste, das Andere ist alles Nebensache.
Seit heute ist auch der Streik beendet, es läuft alles wieder normal.
Nochmals alles Gute und bis zum baldigen Wiedersehen Liebe Grüße Dein Erwin

Nun hätte ich aber bald das Wichtigste vergessen, und zwar schreib mir doch mal, welche Strecke ich am besten fahre vom Entlassungslager Bretzenheim (Mainz) aus? Nur die Strecke, keine Anschlüsse, weil ich ja noch nicht weiß, wann ich in Bretzenheim ankomme und wann ich von dort wieder abfahren kann.


Ein besonderer Dank gilt an dieser Stelle Reiner und Thomas Löcker, die dem Archiv des Heimat- und Fördervereins einen großen dorfgeschichtlich relevanten Fundus aus dem Nachlass Leni Löckers zur Verfügung gestellt und der Veröffentlichung vorstehender Texte zugestimmt haben.